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Andrea Bergmann
Bewegte Bilder
Im Mittelpunkt der
Arbeit von Gudrun Kemsa steht die Darstellung von Licht, Raum und Zeit.
In ihren Fotografien und Videoarbeiten untersucht sie das enge Zusammenwirken
und die Bezüge dieser vermeintlich objektiven Größen zueinander sowie
ihr Verhältnis zu der sie umgebenden Welt. Hierbei konzentriert sich Gudrun
Kemsa jedoch weniger auf die Dokumentation des Dagewesenen als vielmehr
auf die Beschreibung der subjektiven Empfindung von Zeit und Raum und
der Energie des Lichtes. Der Einfall und die Bewegung von Licht als visuelle
Definition von Zeit, die sich gleichzeitig ergebenden Schatten also Ordnungsprinzip
für den mitunter begehbar scheinenden Bildraum.
In Datteln geboren - lebt und arbeitet in Düsseldorf, wo sie an der Kunstakademie
auch ihr Studium der Bildhauerei bei Karl Bobek und David Rabinowitch
absolvierte. Nach dem Abschluss ihres Studiums an der Kunstakademie Düsseldorf
erhielt sie zahlreiche Stipendien und arbeitete in Italien, Israel und
den USA. Dort entstanden aus der Faszination für die Architektur jedoch
nicht etwa bildhauerische Arbeiten, sondern Fotoserien, die die Künstlerin
in den folgenden Jahren zu ihrer eigentlichen Ausdrucksform entwickelte.
Gudrun Kemsa arbeitet seit einigen Jahren mit einer Panoramakamera, die
für die Darstellung des Raumes als ein Kontinuum geradezu prädestiniert
scheint, und ihr die Möglichkeit gibt, ihre Faszination für räumliche
Strukturen bildnerisch umzusetzen. Es entstehen Fotografien von Ausschnitten
realer, natürlicher oder urbaner Strukturen - Straßen, Parks, Plätze,
Räume, Gebäude, deren Erscheinung und Wirkung bestimmt werden durch das
auftretende Licht und den entsprechenden Schattenwurf. Das eigentliche
Motiv zerfällt in helle und dunkle Flächen und Linien. Nicht fassbare,
immaterielle Phänomene dienen der Künstlerin als Gestaltungselement in
der Konstruktion eines neuen Raumes.
Gudrun Kemsa geht jedoch noch einen Schritt weiter und begann vor zwei
Jahren, die Kamera während der Aufnahme zu bewegen; ein Positionswechsel,
der im Bild sichtbar und für den Betrachter als Energie spürbar wird.
Das Verreißen des Apparates bei der Aufnahme bewirkt zudem eine Auflösung
der häufig durch das intensive Licht-Schatten-Spiel allzu harten Konturen
und lässt Formen und Farben auf nahezu malerische Weise ineinander fließen.
Der Bildgegenstand wird ins Unklare gestellt; das Moment des Flüchtigen,
des bereits Vergangene tritt besonders deutlich hervor. Trotz des zwangsläufig
fragmentarischen Charakters einer Fotografie scheinen sich die festgehaltenen
Räume von innen her auszudehnen, an Weite zu gewinnen und nehmen in ihrer
Größe von 1 x 2 m das Gesichtsfeld des Betrachters fst vollständig ein.
Die Bewegung innerhalb des bildes entsteht zum einen durch den Verlauf
von Säulen, Wänden, Dächern und Wegen in der Architektur selbst, zum anderen
durch die von der Künstlerin gewählte Perspektive. In einer der neuesten
Arbeiten, die die Kuppel des Reichstages in Berlin zeigt und die bezeichnenderweise
den Titel „Tornado" trägt, bestimmt der von unten fotografierte, spiralförmig
angelegte Aufgang vor dem Hintergrund der gläsernen Dachkuppel des Gebäudes
ganz entscheidend die Dynamik des Bildes.
In ihren Videoarbeiten, die Gudrun Kemsa als konsequente Weiterentwicklung
ihrer Fotografien begreift, bildet die Möglichkeit der Bewegung ein zusätzliches
wichtiges Gestaltungselement. Zeitabläufe ergeben sich hier durch die
sichtbare, für den Betrachter nachvollziehbare Veränderung von Licht und
Schatten im Bild oder durch die Aktionen der Menschen im Film. Menschen
betreten den Bildraum wie eine Bühne, verweilen und verschwinden. Der
Verlauf der Zeit wird sichtbar durch die Bewegung der Personen im Bild,
ihre Geschwindigkeit scheint der Zeit ihren Rhythmus zu geben. Die den
Film begleitenden elektronischen Klänge betonen diesen im Film visualisierten
Fluss der Zeit durch ihre fortwährende Präsenz, die nur unterbrochen wird
durch ein rhythmisches Pochen, ähnlich einem Herzschlag. Hier bildet die
Musik mit ihren statischen und dynamischen Elementen ein akustisches Pendant
zu den im Film gezeigten Aspekten von Dauer und Rhythmus.
Gudrun Kemsa entwickelt in ihren Arbeiten Sichtweisen von irritierender
Perspektive, verfremdet sie durch Überbelichtung, Unschärfen oder Farbveränderung
und entzieht das Abgebildete dadurch der Realität. Die Bezüge zur empirischen
Wirklichkeit reduzieren sich im Verlauf der künstlerischen Bearbeitung
immer stärker, die einzelnen Motive treten zurück zugunsten allgemeinerer,
allzeit präsenter Größen: der Raum, die Zeit, das Licht, die Bewegung,
so dass diese vielfach unbeachteten „Zwischenräume" zum eigentlichen Motive
ihrer künstlerischen Arbeit werden.
Lit.: „points of view",
Katalog zur Ausstellung im Dortmunder Kunstverein, 2001
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